1. Sachverhalt
Die Parteien stritten über die Erteilung von Entgeltabrechnungen über ein digitales Mitarbeiterpostfach.
Bei der Beklagten bestand eine Konzernbetriebsvereinbarung über die Einführung und Anwendung eines digitalen Mitarbeiterpostfachs. Die Konzernbetriebsvereinbarung sah unter anderem vor, dass Personaldokumente, einschließlich Entgeltabrechnungen, in einem digitalen Mitarbeiterpostfach bereitgestellt werden und von den Mitarbeitern mit individuellen Zugangsdaten online abgerufen werden können. Die Konzernbetriebsvereinbarung bestimmte eine Übergangsfrist von neun Monaten, nach deren Ablauf der Versand von Papierdokumenten eingestellt wurde. Die Personaldokumente stehen mindestens zwölf Monate im Mitarbeiterpostfach zur Verfügung. Sofern es den Mitarbeitern nicht möglich ist, mit privaten Endgeräten auf das Mitarbeiterpostfach zuzugreifen, hat die Beklagte ihnen den Zugang und den Ausdruck der Dokumente zu ermöglichen.
Die Klägerin erhielt im Februar 2022 letztmals eine Entgeltabrechnung in Papierform. Sie forderte die Beklagte in der Folgezeit auf, ihr die Entgeltabrechnungen postalisch zukommen zu lassen, und widersprach der Bereitstellung von Entgeltabrechnungen im digitalen Mitarbeiterpostfach. Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Beklagte die Entgeltabrechnungen durch das Einstellen in ihr digitales Mitarbeiterpostfach nicht „erteile“, wie es § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO vorsehe. Die Entgeltabrechnungen seien ihr nicht ordnungsgemäß zugegangen. Insbesondere könne die Konzernbetriebsvereinbarung ihr fehlendes Einverständnis in die Nutzung des digitalen Mitarbeiterpostfachs nicht ersetzen.
Das Arbeitsgericht hat die auf Erteilung der Entgeltabrechnungen gerichtete Klage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen damit begründet, dass die Klägerin mit ihren Zugangsdaten Kenntnis von dem Inhalt des Mitarbeiterpostfachs habe erlangen können, wodurch die Entgeltabrechnungen ihr zugegangen seien.
2. Entscheidung
Die hiergegen gerichtete Berufung hatte Erfolg. Nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte den Anspruch der Klägerin auf Erteilung der Entgeltabrechnungen aus § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO nicht erfüllt. Danach hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Entgeltabrechnung in Textform zu erteilen.
Zwar steht es vorliegend außer Streit, dass die im digitalen Mitarbeiterpostfach eingestellten Entgeltabrechnungen der Textform genügen. Das Mitarbeiterpostfach stellt nämlich einen dauerhaften Datenträger im Sinne des § 126b BGB dar.
Das bloße Einstellen der Entgeltabrechnungen in das digitale Mitarbeiterpostfach genügt indes nicht, um der Klägerin die Abrechnungen zu „erteilen“. Die Erteilung der Entgeltabrechnungen soll es dem Arbeitnehmer ermöglichen, die Berechnung und Bezahlung des Arbeitsentgelts nachvollziehen zu können. Dies verlangt den Zugang der Entgeltabrechnungen beim Arbeitnehmer im Sinne des § 130 BGB.
Maßgeblich ist danach, dass die Willenserklärung derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass dieser nach allgemeinen Umständen von ihr Kenntnis erlangen kann. Das gilt auch bei einem Zugang auf elektronischem Weg. Ein digitales Mitarbeiterpostfach ist aber nur dann eine geeignete Empfangsvorrichtung, wenn der Empfänger es auch für den Empfang von Willenserklärungen im Rechts- und Geschäftsverkehr bestimmt hat. Das setzt voraus, dass der Empfänger sich zumindest konkludent einverstanden erklärt hat, Erklärungen auch elektronisch zu empfangen. Andernfalls hat er nicht damit zu rechnen, dass ihm Erklärungen, wie etwa Entgeltabrechnungen, auf digitalem Weg übermittelt werden.
So lag der Fall nach Ansicht des Landesarbeitsgerichts auch hier. Die Klägerin hat weder ausdrücklich noch konkludent in den Empfang der Entgeltabrechnungen im digitalen Mitarbeiterpostfach eingewilligt. Auch wurde ihr Einverständnis nicht ersetzt, insbesondere nicht durch die Konzernbetriebsvereinbarung. Es bestand weder ein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG, das nur Zeit, Ort und Auszahlung des Arbeitsentgelts, nicht aber die Form der Entgeltabrechnung betrifft. Noch konnten die Betriebsparteien über die Mitbestimmungstatbestände hinaus eine Betriebsvereinbarung schließen, die in das Recht der Beschäftigten eingreift, selbst über die Art der Übermittlung von Entgeltabrechnungen zu entscheiden (§ 108 Abs. 1 Satz 1 GewO i.V.m. § 130 BGB).
Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zum Bundesarbeitsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (Az. 1 AZR 48/24).
3. Einordung
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts reiht sich ein in die bisherige herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur. Bereits das Landesarbeitsgericht Hamm hat entschieden, dass die bloße Bereitstellung von Entgeltabrechnungen in einem Online-Portal „zur Abholung“ durch den Arbeitnehmer nicht ausreiche, um ihm die Entgeltabrechnungen ordnungsgemäß zu erteilen (Urteil vom 23. September 2021 – 2 Sa 179/21). Zuvor erkannten auch das Arbeitsgericht Oldenburg (Urteil vom 2. November 2016 – 3 Ca 223/16) und das Arbeitsgericht Dortmund (Urteil vom 4. Dezember 2020 – 3 Ca 1606/20) dahin, dass elektronisch bereitgestellte Entgeltabrechnungen dem Arbeitnehmer nur zugehen, wenn dieser sich zumindest konkludent mit ihrer elektronischen Übermittlung einverstanden erklärt hat.
Die herrschende Auffassung ist nicht zwingend. Das hat vorliegend auch das Landesarbeitsgericht erkannt und die Revision zugelassen. Das Bundesarbeitsgericht wird sich insbesondere mit dem Einwand zu beschäftigen haben, ob im Hinblick auf die Erteilung von Entgeltabrechnungen dieselben Anforderungen an deren Zugang zu stellen sind wie im unternehmerischen Geschäftsverkehr. Schließlich konnte die Klägerin, worauf auch das Arbeitsgericht ursprünglich abstellte, mit ihren individuellen Zugangsdaten online Kenntnis von den Entgeltabrechnungen im Mitarbeiterpostfach nehmen. Dies ermöglichte es ihr, die Berechnung und Bezahlung des Arbeitsentgelts jeweils nachzuvollziehen, was nach dem Sinn und Zweck von § 108 Abs. 1 Satz 1 GewO erforderlich, aber auch ausreichend ist. Das digitale Mitarbeiterpostfach ließe sich demnach mit einem individuellen Briefkasten des Arbeitnehmers im Betrieb vergleichen, der wie das betriebliche E-Mail-Postfach durch die Eingliederung des Arbeitnehmers in den Betrieb als sein Machtbereich anzuerkennen wäre. Die vom Landesarbeitsgericht zugrunde gelegte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stünde solch arbeitsrechtlichen Besonderheiten wohl nicht entgegen. Der Bundesgerichtshof hat nämlich nur erkannt, dass ein E-Mail-Postfach „jedenfalls“ dann als Machtbereich des Empfängers anzuerkennen ist, wenn dieser zum Ausdruck gebracht hat, Rechtsgeschäfte in Form von E-Mails abzuschließen. Schon nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann es folglich andere Fälle geben, in denen digitale Medien auch ohne zumindest konkludentes Einverständnis des Empfängers zur rechtserheblichen Kommunikation genutzt werden können – zumal in Fällen einer Legitimation durch (freiwillige) Betriebsvereinbarung.
Es bleibt abzuwarten, ob sich das Bundesarbeitsgericht dem engen Verständnis des Landesarbeitsgerichts anschließt oder die tatsächliche Betriebspraxis und die dahinterstehenden beiderseitigen Interessen an effizienten HR-Prozessen anerkennt. Bis zu einer endgültigen Entscheidung müssen Arbeitgeber von folgenden Rahmenbedingungen ausgehen:
- Die Bereitstellung von Entgeltabrechnungen wie auch anderen Personaldokumenten (wie künftig etwa der Nachweis über die Arbeitsbedingungen) in einem digitalen Mitarbeiterpostfach bedarf des Einverständnisses des Arbeitnehmers. Das Einverständnis kann sich konkludent bspw. aus einer längeren Nutzung des Mitarbeiterpostfachs ergeben. Arbeitgeber sollten allerdings ein ausdrückliches Einverständnis ihrer Arbeitnehmer zu Beweiszwecken einholen.
- Als Alternative zum digitalen Mitarbeiterpostfach könnten Arbeitgeber erwägen, Entgeltabrechnungen an das betriebliche E-Mail-Postfach des Arbeitnehmers zu versenden. Die betriebliche E-Mail ist für gewöhnlich das übliche Kommunikationsmittel zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und das betriebliche E-Mail-Postfach deshalb als Machtbereich des Arbeitnehmers anzusehen. Arbeitnehmer könnten allerdings argumentieren, dass es sich bei dem E-Mail-Postfach um ein Arbeitsmittel handelt, zu dessen Verwendung sie aufgrund ihres Arbeitsverhältnisses verpflichtet sind, und das sie daher nicht als Empfangsvorrichtung für Willenserklärungen im Zusammenhang mit ihrem Arbeitsverhältnis bestimmt haben.
Verfasst von Rechtsanwalt Dr. Justus Frank, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Maître en droit, LL.M., Counsel